40 Jahre Lore-Agnes-Haus in Essen sind noch nicht genug: #wirmachenweiter
Nach sieben Jahr lang andauernd Kampf um Inhalte und Ressourcen konnte das Lore-Agnes-Haus (LAH) als Beratungszentrum für Schwangerschaftskonflikte im Jahr 1983 erstmalig seine Türen in Essen öffnen. 40 Jahre später ist das LAH eine weit über den Niederrhein hinaus bekannte Anlaufstelle rund um die Themen Schwangerschaftskonflikte, Familienplanung und Fragen der Sexualität. Die vierzigjährige Erfolgsgeschichte lieferte heute bei einem Festakt Anlass zum Feiern.
Mehr als 50 geladene Gäste aus Verbänden, Politik und Verwaltung kamen in der Lützowstraße 32 zusammen, wo sie von Britta Altenkamp (Präsidiumsvorsitzende des AWO Bezirksverbands Niederrhein) in einer Einrichtung begrüßt wurden, „die mehr ist als nur ein Beratungszentrum. Das Lore-Agnes-Haus ist auch ein Ort, an dem für sexuelle Selbstbestimmung von Frauen* und gegen patriarchalische Strukturen gekämpft wird“, so betonte Britta Altenkamp bei der Eröffnung. Eine Einschätzung, der auch der 2. Bürgermeister der Stadt Essen, Rudolf Jelinek, folgen konnte: „Das Haus ist seit 40 Jahren eine wichtige Anlaufstelle in unserer Stadt: für Menschen aller Altersgruppen, für Ratsuchende ebenso wie für Fachkräfte, die sich weiterbilden wollen“, hob Rudolf Jelinek in seinem Grußwort hervor und wünschte sich „als Bürgermeister dieser Stadt, dass unser gemeinsames Wirken weiter Früchte trägt – hier im Lore-Agnes-Haus und für das Wohl der Menschen in Essen insgesamt.“
Dass es insbesondere um das Wohl von ungewollt Schwangeren in dieser Gesellschaft noch nicht zum Besten bestellt ist, arbeitete Anja Butschkau (Sprecherin für Gleichstellung und Frauen der SPD-Fraktion im Landtag Nordrhein-Westfalen) in ihrer Keynote heraus. „Während Frauen immer noch für ihre sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung und für die Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch kämpfen, werden Frauen weiterhin ganz konkret in ihren Rechten eingeschränkt, wenn sie vor einem Beratungszentrum für Schwangerschaftskonflikte von selbst erkannten „Lebensschützern“ bedrohte werden“, mahnte die SPD-Politikerin aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen an.
Dass bei diesem Kampf viel Ausdauer erforderlich ist, machte die anschließenden Talkrunde zu dem Thema „Schwangerschaftskonfliktberatung im Wandel der Zeiten und der Kampf um die Streichung des § 218“ mit drei Generationen Leitung des Lore-Agnes-Hauses deutlich. Denn obwohl die Streichung sowohl für Marlis Meckel (erste Leiterin des LAH bis 1993), Petra Söchting (Leiterin 2002-2012) als auch für Nicola Völckel (Leiterin seit 2013) eine Herzensangelegenheit ist, steht nach wie vor ein Schwangerschaftsabbruch unter Strafe. Dennoch ist die Geschichte des LAH für alle drei Leitungen eine Erfolgsgeschichte: „Die unzähligen Beratungsgespräche haben ebenso vielen Frauen in schwierigen Situationen geholfen, wie wir Frauen in Notsituationen unterstützen konnten. Wir tragen mit unserer Arbeit dazu bei, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht weiter tabuisiert werden und niemand deswegen Schuld- und Schamgefühlte haben muss“, so Nicola Völckel, die als Losung für die nächsten 40 Jahre einen Hashtag ausgab: #wirmachenweiter.
Abgerundet wurde der Festakt an einem vermeintlich ungewöhnlichen Ort durch ein ebenso vermeintlich ungewöhnliches Kulturprogramm: die Autorin Charlotte Gneuß laß aus ihrem Buch „Glückwunsch – 15 Erzählungen über Abtreibungen“ vor und gewährte tiefe Einblicke in die Lebenssituation von schwangeren Frauen, während die ukrainische Künstlerin Tetiana Muchychka auf einem ebenso für einen Festakt ungewöhnlichen Instrument, einem Akkordeon, Werke von Bach und Tschaikowski vortrug.